Forschungsprojekt

Migration und Staatsangehörigkeit nach dem Ersten Weltkrieg. Die Einbürgerung der Deutschen im ehemaligen Elsass-Lothringen (1918–1939)


Ausgehend von der Geschichte der deutschen Bevölkerung in Elsass und Lothringen nach dem Ersten Weltkrieg untersucht Dr. Axel Dröber in seinem Forschungsprojekt die Geschichte von Einbürgerung im Kontext transnationaler Migration, internationaler Friedensordnung und Reform der französischen Naturalisation. Zentral tritt dabei hervor, wie Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft im Laufe des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zur bestimmenden Kategorie politischer und rechtlicher Zugehörigkeit in Europa wurden. Vor dem Ersten Weltkrieg waren die Distinktions- und Trennungslinien zwischen In- und Ausländern stärker geworden und es entstand eine Immigrations- und Naturalisationspolitik in immer schärferen Umrissen. Staatliche Zugehörigkeit wurde zu einem zentralen Tätigkeitsbereich des modernen Verwaltungsstaates, der mit dem Frieden von 1919 an neuer Dynamik gewann und sich institutionell markant fortentwickelte. Aus dem Projekt geht hervor, welchen Stellenwert die Einbürgerung der Deutschen im Elsass und in Lothringen, einem Gebiet, das nach dem Ersten Weltkrieg wieder zu Frankreich gehörte, für die Neujustierung von Inklusions- und Exklusionsmechanismen bei der Verleihung von Staatsangehörigkeit hatte. An ihrem Fall lassen sich die multiplen Imaginationsmuster zu Zugehörigkeit und Assimilation untersuchen, die die Dritte Republik geprägt haben. Das Projekt deckt auf, wie staatsangehörigkeitsrechtliche Bestimmungen, die aus den Friedensverträgen hervorgingen, mit der Reform des nationalen Rechts ineinandergreifen. Es zeigt, wie sich die französische Einbürgerungspolitik im Zuge der Rückführung von Elsass-Lothringen verstärkt zu einem Instrument der Bevölkerungsentwicklung wandelte.

Mit dem Waffenstillstand vom November 1918 ging die französische Regierung dazu über, die Kriterien für nationalstaatliche Zugehörigkeit sukzessive festzulegen (siehe dazu Axel Dröber, État, nation, identité. La population allemande et la politique française de naturalisation en Alsace-Lorraine après la Première Guerre mondiale, in: Anne-Lise Depoil, Ségolène Plyer (Hg.), Frontière et mobilités en Alsace après le tournant de 1918, Straßburg 2022, S. 103–127). Die Deutschen wurden von der französischen Verwaltung als Immigrantinnen und Immigranten eingestuft, was für die Verleihung der Staatsbürgerschaft und die Integration in die Nation die Rahmenbedingungen schuf. Wer als zugehörig zur nationalen Gemeinschaft und assimilierungsfähig bzw. -unfähig galt, entschied der neue Staat unabhängig davon, dass unter den Deutschen viele der zweiten Einwanderergeneration angehörten und im Elsass oder in Lothringen geboren waren. Die Einbürgerung erschien der französischen Regierung darüber hinaus als Ordnungsinstrument, um die mit dem Krieg (zurück-)gewonnen Gebiete politisch zu integrieren, das französische Staatsgebiet abzurunden und die neue Grenze zu Deutschland zu etablieren. Dafür spielten sowohl Identifizierung und Überwachung, als auch eine kontrollierte Aufnahme in die französische Staatsangehörigkeit eine Rolle. Aus diesem Grund wirkte die Regierung darauf hin, im Versailler Vertrag von Juni 1919 ein unter bestimmten Bedingungen vereinfachtes Naturalisationsverfahren auf den Weg zu bringen: Wer von den Deutschen die Aufenthaltskriterien erfüllte, zählte fortan zu einer mit gewissen Vorrechten ausgestatteten Kategorie von Personen, welche durch den Grenzwechsel zu Ausländern geworden waren (siehe dazu Axel Dröber, Vom Frieden ausgeschlossen? Die Einbürgerung der Deutschen in Elsass und Lothringen im Spannungsverhältnis von Versailler Friedensordnung und französischer Immigrationspolitik, in: Revue d’Allemagne 56 (2024), S. 1–16).

Das Forschungsprojekt
untersucht die Geschichte die Geschichte von Einbürgerung im Kontext transnationaler Migration, internationaler Friedensordnung und Reform der französischen Naturalisation.

Die Verfahren zur Einbürgerung standen allerdings weiterhin in einem rechtsfreien Raum, unterlagen dem behördlichen Ermessensspielraum und gingen, oftmals nach vielen Jahren, mit einer Entscheidung des Justizministeriums über Bewilligung oder Ablehnung zu Ende. In den 1920er Jahren wurde die deutsche, als Immigranten eingestufte Bevölkerung in Elsass  und Lothringen, immer mehr zu einem Objekt der französischen Immigrationspolitik, bei der Einbürgerung als Maßnahme gegen die rückgehende Demographie und zur Vergrößerung der Bevölkerung ins Blickfeld von Experten und Politikern geriet. 1927 wurde die Gesetzgebung zu Erwerb und Verlust der französischen Staatsangehörigkeit grundlegend reformiert. Parlament und Regierung griffen Positionen auf, die in der Öffentlichkeit mit Blick auf die Integration der Deutschen seit der Rückkehr des ehemaligen Reichslands zu Frankreich zum Teil virulent diskutiert worden waren. Dazu gehörte sowohl die mögliche Aberkennung einer erfolgten Einbürgerung, die Denaturalisation, als auch die autonome Stellung in- und ausländischer Frauen im Staatsangehörigkeitsrecht.

Die Betroffenen dieser Debatten um Zugehörigkeit, Integration und Ausgrenzung treten in den Anträgen auf Einbürgerung und den dafür ausgestellten Akten in Erscheinung. Zivilstandsdokumente wie Geburts- oder Heiratsurkunden, Untersuchungen von Polizei und Justiz, schließlich Briefe, die Antragstellende an die Behörden richteten, um ihr Anliegen dazulegen, geben den Blick frei auf eine in transnationalen Bezügen lebende Bevölkerung. Die Einwanderung während der deutschen Zeit, als sich diese Personen aus anderen Staaten des Reiches kommend im Elsass oder in Lothringen niederließen, aber auch das Schicksal während der Übergangsphase zu Frankreich und der Einführung der Immigrationsmaßnahmen des neuen Staates, geben Aufschluss darüber, wie die Angehörigen des ehemaligen Feindstaates den Ausgang des Weltkriegs er- und durchlebten. Das jahrelange Warten auf den Ausgang von Einbürgerungsverfahren, die Kategorisierung und Überwachung als Ausländerin oder Ausländer bedingten einen ambivalenten Bezug zur Friedensordnung von 1919. Die Integration in die französische Nation aber war ein Weg, Schutz zu erlangen. Staatsangehörigkeit vermittelte eine gesicherte Existenz, Bleiberecht und materielle Absicherung.

 

Bildnachweis: Einbürgerungsakte, Archives nationales BB 11 8571.